Anmelden    Registrieren
  • Autor
    Nachricht

des Maikäfers Geschichte

Beitragvon Wichtel » 2. Mai 2015, 19:10

Maikäfernächte (v. Elke Bräunling)

“Bist du der Herr Sumsemann”, fragte das Kind den dicken Maikäfer.
Der antwortete erst einmal nicht. Er bemühte sich nämlich vergeblich, nach dem Stoß gegen die Fensterscheibe wieder auf die Füße zu kommen. Hilflos lag er auf seinem breiten Rückenpanzer und strampelte mit den Beinen. Er strampelte heftig, denn vor Kindern fürchtete er sich. Nun, eigentlich gab es fast nichts, was ihn nicht in Furcht versetzte. Und eigentlich war er fast immer vor irgendwelchen ‘Feinden’ auf der Flucht.
“Nun strample doch nicht so dolle”, maulte das Kind. “Wie soll ich denn sonst deine Beinchen zählen?”
“B-Beine zählen?”, keuchte der Maikäfer. Eine mächtige Angst stieg in ihm auf. “Wollte dieses Kind ihm seine Käferbeine ausreißen und andere gemeine Dinge mit ihm tun?”
Zu seinem Strampeln kam noch ein Schlottern. Ein Angstschlottern, das so heftig war, dass er sich am liebsten tot gestellt hätte. Davor aber fürchtete er sich noch mehr. Wer weiß, womöglich fiel er beim Totstellen tot um. So richtig tot.
“Nein, nein, zu Hilfe!”, heulte er daher auf. “Tu mir nichts, bitte. Ich verspreche dir auch, nie ein Sumsemann, wer oder was das auch immer sein mag, zu werden. Ich werde ihn auch nicht treffen und ich …”
Der Maikäfer redete und redete, während er immer noch mit den Beinen ruderte.
“Der Sumsemann hat nur fünf Beine”, stellte das Kind ruhig fest. “So halte still, damit ich nachsehen kann, ob dir dein sechstes Beinchen fehlt.”
“Nein. Nei-en!’ Der Maikäfer schrie entsetzt auf. Also wollte es ihm doch ein Bein oder zwei oder gleich alle ausreißen. Kinder können so grausam sein. Und wenn dieses Kind feststellte, dass er – wie alle seiner Kollegen – sechs Beine hatte, würde es ihm gleich sehr weh tun und …
“Ich bin verloren”, schrie er verzweifelt in die laue Maiennacht hinaus. Und er schrie und schrie …
“Hast du schon wieder schlecht geträumt?”, fragte da auf einmal eine Stimme sanft. Es war eine vertraute Stimme. Mamas Stimme.
Papa nickte. “Ein Kind wollte mir mein sechstes Beinchen wegreißen. Und ich lag auf dem Rücken. Ich konnte nicht aufstehen und mich wehren.” Papa setzte sich im Bett auf. Langsam wurde er wach. “Ich war ein Maikäfer.”
Mama lachte. “Aha”, sagte sie. “Hast du den Kindern aus “Peterchens Mondfahrt, dem Märchen mit dem Maikäfer Sumsemann vorgelesen?”
Papa nickte. Er schüttelte sich. “Märchen können ganz schön grausam sein.”
Mama nickte. “Besonders zu Maikäfern und gestressten Vätern.”
Papa gähnte und nickte wieder. “Für morgen haben sich die Kinder ‘Rotkäppchen’ gewünscht. Das ist ein nettes Märchen. Oder?”
Mama nickte. “Und ganz ohne Maikäfer”, sagte sie. “Rotkäppchens verschlagener, verfressener Wolf ist bestimmt harmlos und …”
Sie schwieg, denn Papa war längst wieder eingeschlafen.
Liebe Grüße
Euer Advents-Wichtel

:wsmile:
Benutzeravatar
Wichtel
Moderator
Moderator
 
Beiträge: 582
Registriert: 25. Oktober 2011, 14:16

Re: des Maikäfers Geschichte

Beitragvon der gatte » 3. Mai 2015, 23:09

Ach ja, Peterchens Mondfahrt .... Das fand ich soooo Klasse. Ich war halt schon als Kind ein kleiner "Astrofreak" ;)
---------------------------------

Für blinde Seelen sind Katzen ähnlich. Für Katzenliebhaber ist jede Katze, von Anbeginn an, absolut einzigartig.
Jenny de Vries

Und alles Getrennte findet sich wieder.
Friedrich Hölderlin
Benutzeravatar
der gatte
Real life - was ist das?
Real life - was ist das?
 
Beiträge: 20814
Registriert: 9. Dezember 2007, 11:20
Wohnort: OWL
Das Forum ist für mich: eine große Familie

Zurück zu Frühlingsmarkt 2015

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 1 Gast

cron